Pilz & Pilz - Myofunktionelle Therapie: Schiefe Zähne und schmale Kiefer von vornherein vermeiden

19.08.2022

Eine Frühbehandlung hilft, optimale Bedingungen für ein gesundes Kiefer- und Gesichtswachstum zu schaffen. Nebenbei werden dabei auch Zähne begradigt. Wie diese präventive Methode wirkt, wann man anfangen sollte und wie sie abläuft erfahren Sie in diesem Artikel.

Frontal offener Biss durch Zungendysfunktion I Quelle: Pilz&Pilz

Was ist eine myofunktionelle Therapie in der Kieferorthopädie?

Eine myofunktionelle Therapie (MFT), durchgeführt von Logopäden, hat das Ziel, myofunktionelle Störungen zu beheben. Darunter versteht man ein Ungleichgewicht der Muskulatur im Bereich der Zunge, Lippen und Wangen. Die Funktion dieser Muskeln wirkt sich auf die Form von Kieferknochen und Zähnen aus und umgekehrt. Beeinflusst man die Funktion, solange Kiefer und Gesicht noch im Wachstum sind, kann man auch die Form beeinflussen – zum Beispiel einen zu schmalen Kiefer weiten. Bestenfalls wachsen die Zähne dann von vornherein gerade und eine Behandlung mit fester Zahnspange wird vermieden oder zumindest vereinfacht und verkürzt. Die myofunktionelle Therapie kombiniert mit einer kieferorthopädischen Frühbehandlung beim Kieferorthopäden ist also eine präventive Methode.

Woher kommen Zahn- und Kieferfehlstellungen?

Fehlstellungen von Zähnen und Kiefern können genetische Ursachen haben - also vererbt sein. Eine mindestens genauso große Rolle  spielen Umwelteinflüsse wie fehlender Lippenschluss, Mundatmung mit offener Mundhaltung, fehlerhafte Ruhelage der Zunge, falsches Schlucken, zu geringe Kiefernutzung sowie zu langes Saugen an Schnuller oder Daumen. Diese funktionellen Ursachen der Entstehung von Zahn- und Kieferfehlstellungen kann man beeinflussen - unter anderem durch eine myofunktionelle Therapie.

Ab welchem Alter ist eine myofunktionelle Therapie sinnvoll?

Prävention kann gar nicht früh genug beginnen. Möglichst wenig Schnuller- und Daumenlutschen und viel und kräftig mit geschlossenem Mund Kauen sind Beispiele, wie die Kiefer und damit das orofaziale System von Anfang an richtig wachsen. Die Myofunktionelle Therapie funktioniert bei kleinen Kindern am besten, wenn Eltern, Kind und Logopäde*in Hand in Hand arbeiten. 

Bei ausgeprägterem Fehlwachstum ist die MFT am effektivsten, wenn sie parallel zu einer kieferorthopädischen Frühbehandlung durchgeführt wird. Die Kinder müssen bei dieser Behandlung aktiv mitarbeiten. Deshalb sollten sie nicht zu jung sein. Da erfahrungsgemäß die Motivation spätestens mit der Pubertät nachlässt, sollte man aber auch nicht zu spät beginnen. Deswegen ist die Zeit vor und mit Beginn der Grundschulzeit oft ein gutes Alter für den Start der MFT.

Das Ziel: mehr als nur gerade Zähne

Durch eine myofunktionelle Therapie kann man nicht nur die Zähne begradigen. Insbesondere Mundatmung mit unvollständigem Lippenschluss hat zahlreiche negative Auswirkungen auf die Mund- und Allgemeingesundheit. Durch myofunktionelle Therapie kann man in solchen Fällen sehr gut eine Umstellung auf die Nasenatmung erreichen. Auch eine normale Ausbildung der Atemwege wird durch die Nasenatmung ermöglicht. Man vermutet, dass man damit sogar einer Schlaf-Apnoe mit gefährlichen Atemaussetzern im Schlaf vorbeugen kann. 

Auch die Lage der Zunge am Gaumen spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass der Gaumen sich korrekt ausformt und die Kiefer in die Breite wachsen. Dadurch ist viel mehr Platz für die bleibenden Zähne vorhanden und es müssen keine Zähne wegen Platzmangels gezogen werden. 

 

Ruheweichteilbeziehung schafft korrekte Kieferwachstum
Zunge als Wachstumsmotor des Kiefers I Dr. Andrea Freudenberg, mykie(R)

 

Wie läuft eine myofunktionelle Therapie ab?

Am Anfang steht ein Erstgespräch, in dem der Kieferorthopäde mit den Eltern bespricht, ob ihr Kind von einer MFT profitieren könnte. Das Behandlungskonzept wird erläutert. Wenn sich Eltern und Kind für eine MFT entscheiden, folgt eine Überweisung zur Logopädie oder, wenn auch parallel kieferorthopädisch behandelt werden soll, eine kieferorthopädische Anfangsdiagnostik. Sie beinhaltet unter anderem Fotos, gegebenenfalls Röntgenbilder und Abformungen oder einen Intraoral-Scan von Ober- und Unterkiefer. In der Logopädie wird ein ausführlicher myofunktioneller Befund erstellt. Nach Auswertung aller Untersuchungsergebnisse wird ein individueller Therapie- und Kostenplan erstellt. Wenn dann alle offenen Fragen geklärt sind, kann die myofunktionelle Therapie starten.

Wie lange dauert eine myofunktionelle Therapie?

MFT: Übung macht den Meister 😃 I Foto: balakirphoto, Pixabay

Eine MFT wird in der Regel mit mehreren Rezepten an den Logopäden rezeptiert. Die Termine finden in regelmäßigen Abständen in der logopädischen Praxis statt. Dabei werden Übungen erlernt, die zu Hause täglich wiederholt werden sollten. Es werden Muskeln gestärkt und Fehlfunktionen korrigiert. Eltern sollten ihre Kinder dabei unterstützen. Idealerweise kommen zusätzlich kieferorthopädische Trainingsgeräte zum Einsatz, die ebenfalls die Muskelfunktionen und die Entwicklung von Kiefern und Zähnen korrigieren. Die kieferorthopädische Frühbehandlung ist in der Regel nach eineinhalb Jahren abgeschlossen. Die Umstellung der Funktionsmuster sollte möglichst über den gleichen Zeitraum von der Logopädie unterstützt und regelmäßig kontrolliert werden. 

Die Ziele sind: Das Kind atmet durch die Nase, schluckt regulär und die Zunge liegt in der Ruhelage am Gaumen. Die Voraussetzungen für geradere Zähne, eine bessere Gebissfunktion und eine gesunde Gesichts- und Kieferentwicklung sind dann gegeben. 

Zusammenarbeit mit Logopäden, Kinderärzten und Eltern ist wichtig!

Die wenigsten Eltern wissen, dass man schon vor Beginn der Grundschulzeit dem Kieferorthopäden einen Besuch abstatten sollte. Deswegen ist es umso wichtiger, dass Kinderärzte und Kinderzahnärzte über myofunktionelle Störungen und deren Auswirkungen Bescheid wissen und bei Bedarf zum Spezialisten überweisen. 

Logopädinnen und Logopäden spielen die zentrale Rolle bei der myofunktionellen Therapie. Eine enge Zusammenarbeit mit den Kieferorthopädinnen und Kieferorthopäden ist von großer Bedeutung. Nicht zuletzt müssen aber auch die Eltern ihr Kind so gut wie möglich unterstützen. 

Wird eine MFT von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt?

Die klassische myofunktionelle Therapie kann vom Kieferorthopäden rezeptiert werden und wird in der Regel von den privaten und gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. 

 

Quellen:

  • Das Gesundheitsportal medondo.health
  • Di Vecchio S, Manzini P, Candida E, Gargari M. Froggy mouth: a new myofunctional approach to atypical swallowing. Eur J Paediatr Dent. 2019 Mar;20(1):33-37. doi: 10.23804/ejpd.2019.20.01.07. PMID: 30919642.
  • Quinzi V, Nota A, Caggiati E, Saccomanno S, Marzo G, Tecco S. Short-Term Effects of a Myofunctional Appliance on Atypical Swallowing and Lip Strength: A Prospective Study. J Clin Med. 2020 Aug 15;9(8):2652. doi: 10.3390/jcm9082652. PMID: 32824218; PMCID: PMC7465646.
  • Nogami Y, Saitoh I, Inada E, Murakami D, Iwase Y, Kubota N, Nakamura Y, Nakakura-Ohshima K, Suzuki A, Yamasaki Y, Hayasaki H, Kaihara Y. Lip-closing strength in children is enhanced by lip and facial muscle training. Clin Exp Dent Res. 2022 Feb;8(1):209-216. doi: 10.1002/cre2.490. Epub 2021 Sep 9. PMID: 34499413; PMCID: PMC8874039.
  • Nogami Y, Saitoh I, Inada E, Murakami D, Iwase Y, Kubota N, Nakamura Y, Kimi M, Hayasaki H, Yamasaki Y, Kaihara Y. Prevalence of an incompetent lip seal during growth periods throughout Japan: a large-scale, survey-based, cross-sectional study. Environ Health Prev Med. 2021 Jan 21;26(1):11. doi: 10.1186/s12199-021-00933-5. PMID: 33478389; PMCID: PMC7819306
  • www.mykie.de
  • Bauss O, Freitag S, Röhling J, Rahman A. Influence of overjet and lip coverage on the prevalence and severity of incisor trauma. J Orofac Orthop. 2008 Nov;69(6):402-10. English, German.
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